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Spendenaufruf: Lkw-Ladung voller Hoffnung – und das Protokoll eines Scheiterns

Aktualisiert: 8. Juni

Von Tim Breitmeyer



Ein Konvoi mit Hilfsgütern rollt gen Süden. Sechs Sattelzüge, medizinische Geräte,

Krankenhausbetten, Matratzen. Alles sorgfältig geplant, alles legal. Doch an der Grenze zu Bosnien endet die Reise in Bürokratie, Misstrauen – und einer kafkaesken Blockade. Der Mann,

der alles organisiert hat, kommt zurück mit leerem Herzen und voller Wut.


Wathlingen, auf dem Betriebshof eines kleinen Transportunternehmens stehen sechs mächtige Auflieger in der Sommersonne. Sie sind vollbeladen mit dem, was Leben retten kann: Rollstühle, Narkosegeräte, Ultraschalltechnik, Klinikbetten. Gespendet von deutschen Krankenhäusern, verladen von Freiwilligen, dokumentiert bis ins letzte Detail.

Am Steuer sitzt Achim Rodenberg, 65, Spediteur, Vereinsvorsitzender, Ehrenamtler. Einer, der nicht redet, sondern fährt. Seit Jahrzehnten organisiert er Hilfstransporte nach Osteuropa. Diesmal soll es nach Serbien gehen. Ein Routineeinsatz, denkt er. Doch was folgt, ist eine Fahrt ins europäische Absurditarium.



Hoffnung auf sechs Achsen

Der Plan steht. Am 20. Mai rollt der Konvoi los, aus Wathlingen Richtung Südosten. Achim fährt

wie immer voran, in seinem grünen Truck. Dahinter fünf weitere Sattelzüge – einer aus seinem Unternehmen, vier von Unterstützern. Die Stimmung ist ruhig, fokussiert. Keiner ahnt, dass dieser Transport sich in einen zehntägigen Albtraum verwandeln wird. Ziel ist ein Krankenhaus in Serbien. Doch noch bevor die Grenze erreicht ist, kommt die Nachricht: Einreise verweigert. Keine Erklärung. Keine Alternative.

Achim reagiert sofort.


Von einem Schreibtisch aus hätte man Stunden gebraucht – er braucht vier.

Dann steht das neue Ziel fest: ein bosnisches Krankenhaus, das die Ladung dringend benötigt. Der Konvoi schwenkt um, fährt weiter nach Bosnien.

„Ich dachte: gerettet“, sagt Achim heute. „Aber da wusste ich noch nicht, was Bürokratie in Kriegsnachwehen bedeutet.“


Willkommen in der Warteschleife

Der Konvoi erreicht den bosnischen Zoll am 22. Mai. Die Stimmung? Guter Dinge. Die Papiere? Vollständig. Die Hoffnung? Ungebrochen. Sechs Stunden später: erste Zweifel. Zehn Stunden später: wachsender Unmut. Nach zweieinhalb Tagen: Resignation.

„Man sagte uns, die zuständige Dame vom Roten Kreuz sei im Urlaub“, erzählt Achim. Ohne sie: keine Einfuhrgenehmigung. Auch keine Vertretung. Auch kein Erbarmen. Die Fahrer schlafen in ihren Kabinen, warten, diskutieren mit Beamten, telefonieren mit Deutschland.„Du sitzt da mit einem Lkw voller Hilfe und darfst nicht mal aussteigen“, sagt einer der Mitfahrer später. „Es ist wie bei Kafka – nur ohne Pointe.“


Rückwärts durch Europa

Am Ende bleibt nur ein Ausweg: Rückfahrt. Bosnien verwehrt die Annahme, Serbien lässt nicht rein. Also zurück nach Kroatien – zurück in die EU. Doch dort: die nächste Sperre. „Ihr dürft nicht einreisen“, sagt der kroatische Zoll. Die Begründung: Die Ladung habe die EU verlassen. Nun brauche man neue Papiere, um sie wieder einzuführen – selbst wenn sie nie abgeladen wurde. Ein Deadlock.



Doch Achim kennt die Regeln – und manchmal auch die Ausnahmen. Er behauptet, deutsche Medien seien informiert, ein Fernsehteam auf dem Weg. Die Geschichte ist erfunden – doch sie

wirkt. Wenig später öffnen sich die Schranken. Der Konvoi darf passieren. Richtung Heimat.



Selbstverständlich stellt Achim auch Spendenquittungen aus.


Die stille Niederlage

Am 30. Mai rollt der Konvoi wieder auf den Hof in Wathlingen. Zehn Tage, 3.000 Kilometer – für nichts. Die Ladung steht noch immer da, wo sie begann. Nur der Glaube ist unterwegs irgendwo liegen geblieben.

„So behandelt man keine Helfer“, sagt Achim leise. Es ist kein Wutausbruch, kein Anklagebrief – nur dieser eine Satz. Dahinter: Enttäuschung. Bitterkeit. Und eine Spur von Erschöpfung, die man nicht mehr wegfährt.


20.000 Euro hat der Einsatz gekostet. Spenden werden gesammelt, ein Crowdfunding ist eingerichtet.

Achim ist dankbar – aber auch entschlossener denn je.



Hilfe nur mit Stempel

Das Protokoll dieser gescheiterten Mission ist nicht nur die Geschichte eines Vereins. Es ist ein Spiegelbild europäischer Bürokratie: Ein System, das helfen will, solange die Hilfe im korrekten Formularfeld eingetragen ist. Und das dabei vergisst, worum es eigentlich geht.

Achim zieht Konsequenzen: In den Balkan will er nicht mehr fahren. Nicht, weil dort keine Hilfe nötig wäre – sondern weil sie offenbar nicht gewollt ist.


Stattdessen: Ukraine. Dorthin, wo Krankenhäuser zerbombt wurden. Wo Rollstühle fehlen. Wo Klinikbetten nicht geliefert werden müssen, sondern sofort gebraucht werden.


„Ich hab Verantwortung für meine Leute“, sagt Achim. „Aber wenn wir nicht fahren, fährt niemand.“

Kein Rückwärtsgang im Kopf

Die Auflieger in Wathlingen stehen noch immer da. Bald sollen sie neu beladen werden. Vielleicht

mit denselben Betten. Vielleicht mit neuer Hoffnung.Achim wird wieder am Steuer sitzen. Wieder vorausfahren. Wieder alles riskieren.




„Wenn du helfen kannst, dann tust du’s. Ganz einfach“, sagt er. Und wenn er dafür vierzehn Formulare ausfüllen muss – dann bringt er fünfzehn mit.

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